Die Dringlichkeit einer zügigen Digitalisierung ist in der Politik angekommen. Wenn die angesprochenen Maßnahmen konsequent umgesetzt werden, sieht VOICE – Bundesverband der IT-Anwender e.V. viele seiner zentralen Forderungen erfüllt (z.B. Produkthaftung für Software-Anbieter, offene Standards). Allerdings bleibt das Papier an vielen Stellen sehr vage, ohne Zeitplan und ohne Finanzierungshinweise.
Die Begriffe „Digitalisierung“ und „Datenschutz“ finden sich in dem Vertragstext an außerordentlich vielen Stellen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die kommende Regierung die Zeichen der Zeit erkannt hat. Wir können uns keine weiteren Verzögerungen leisten. Im Gegenteil: Deutschland muss die Geschwindigkeit der Digitalisierung im Public Sector, in der Bildung und in den Unternehmen dringend erhöhen. Dass die Regierung dieser Einsicht in vielen Projekten Rechnung tragen will, begrüßt VOICE.
Der Glasfaserausbau bis in die Häuser und Wohnungen voranzutreiben (Fiber to the Home) und die beschleunigte Digitalisierung der Verwaltung sind erwartbare Vorhaben, erfreulicherweise ergänzt durch die explizite Forderung, Hemmnisse wie das Schriftformerfordernis konsequent und nachhaltig abzubauen und die Begriffsdefinitionen zu vereinheitlichen. VOICE sieht hierin einen wichtigen Schritt in Richtung datengetriebene Verwaltung.
Abkehr vom Silodenken mit konsequenter IT-Governance unterstützen
Die schon oft formulierte Abkehr vom Silodenken muss jetzt mit konkreten organisatorischen Lösungen und einer konsequenten IT-Governance angegangen werden. Naheliegend, aber in dieser Deutlichkeit überraschend ist die Forderung, die Digitalisierung zu einem Kernbestandteil der Ausbildung im Öffentlichen Dienst zu machen. Ein Digitalcheck für alle Gesetze ist ebenfalls ein lange überfälliger Schritt. Das gleiche gilt für das Festschreiben von offenen Standards und die Nutzung von Open Source für öffentliche IT-Projekte. Allerdings nennen die Koalitionäre für alle diese Vorhaben keinen Zeitplan und zeigen keine Finanzierungswege auf. Dies muss schnell nachgeholt werden, damit die Projekte im politischen Alltag nicht versanden.
Das vorgesehene Datengesetz kann eine datenzentrierte Sicht in der gesamten Wirtschaft sehr gut unterstützen, aber nur dann, wenn hierdurch nicht zusätzliche bürokratische Hindernisse geschaffen werden. Für eine gute Praxistauglichkeit müssten die entsprechenden Gesetze bundesweit, besser noch europaweit einheitlich interpretiert werden. Um das volle Potential der Möglichkeiten auszuschöpfen, muss jedoch auch der Datenschutz neu gedacht und auf Europäischer Ebene novelliert werden. VOICE begrüßt das explizite Ziel, De-anonymisierung unter Strafe zu stellen.
VOICE begrüßt Produkthaftung für Sicherheitsmängel
Im Bereich der IT-Sicherheit gibt es aus VOICE-Sicht Licht und Schatten: Die lange überfällige Produkthaftung für Sicherheitsmängel bei Software erfüllt eine der zentralen Forderungen von VOICE. Die Begrenzung auf Fälle mit vorliegender Fahrlässigkeit schränkt den Geltungsbereich zwar unnötig ein. Für die Einführung ist dies jedoch akzeptabel, denn eine Vielzahl von Vorkommnissen wird davon– insbesondere bei dem derzeitigen Qualitätsniveau vieler Produkte- dennoch erfasst.
Dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) soll eine umfassendere Rolle zukommen, auch bei der Kontrolle der staatlichen Stellen. Allerdings fordern die VOICE-Mitglieder vom BSI eher Unterstützung als Kontrolle, gerade bei KRITIS Unternehmen. Für die dringend erforderliche Verbesserung der Koordination zwischen den verschiedenen Sicherheitsbehörden findet sich leider kein Lösungsentwurf. Ebenso fehlt das erklärte Ziel einer Mitgestaltung der Sicherheitsstrukturen des Internets als Backbone der gesamten Wirtschaft. Hier ist ein Eingreifen der exzellenten in Deutschland vorhandenen institutionellen und wissenschaftlichen Einrichtungen dringend geboten, um nicht nur reaktiv mit der Sicherheitslage umzugehen, sondern fundamentale Architekturänderungen anzustoßen.
Interoperabilität und Portabilität sind Schlüssel zu mehr Wettbewerb
Es wäre auch ein großer Fortschritt, wenn die neue Koalition mit der digitalen Souveränität „u.a. durch das Recht auf Interoperabilität und Portabilität sowie das Setzen auf offene Standards, Open Source und europäische Ökosysteme, etwa bei 5G oder KI“ tatsächlich ernst machen würde. Auch diese gehört zu den zentralen Forderungen, die VOICE in den 12 Forderungen vor der Bundestagswahl aufgestellt hat. Interoperabilität und Portabilität sind gleichzeitig der Schlüssel zu mehr Wettbewerb auf dem Software-Markt. Bisher gibt es hier keine wirksamen Kontrollstrukturen, um der Dominanz von Plattformen („the winner takes it all“) entgegen zu wirken.
Die aktive Gestaltung des Digital Market Act, mit dem die neue Regierung ein „Level Playing Field“ erreichen möchte, ist absolut notwendig. Hierzu müsste der Geltungsbereich des DMA aber so erweitert werden, dass Geschäftssoftware in jeder Form erfasst wird. Insbesondere müssen sich auch europäische Anbieter den Vorgaben unterwerfen. Den DMA nur auf Amazon, Microsoft, Google, Facebook und Apple auszurichten greift bei weitem zu kurz.
Verbindlicher Zeitplan fehlt
Insgesamt bewertet VOICE den Koalitionsvertrag positiv. Etliche Digitalisierungsansätze werden erstmals in einem Koalitionsvertrag formuliert. Spannend ist ebenfalls, dass die Digitalisierung als Silo- und Bereichs übergreifend gesehen wird. Deshalb erscheint es richtig, auf ein eigenes Digitalministerium zu verzichten, das zunächst mehrere Jahre benötigt hätte, um arbeitsfähig zu werden. Dem Koalitionsvertrag fehlt allerdings ein verbindlicher Zeitplan und solide Hinweise auf die Finanzierung. Außerdem sind einige Vorhaben so vage formuliert, dass sie in der „Realpolitik“ untergehen gehen könnten. Hier bräuchte es rasche Konkretisierungen.