Der 5. digitale CIO-Austausch am 22.04.2020 war natürlich stark von Fragen zum Umgang mit der Krise geprägt, aber inzwischen verstärkt sich das Nachdenken über die Zeit nach der Krise.
Großartige Impulse bekam die VOICE CIO-Community von Ministerialrätin im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Dr. Christine Kahlen, Leiterin der Unterabteilung VIB Nationale und europäische Digitale Agenda, von Dr. Roland Schütz, Mitglied des VOICE-Präsidiums und Group CIO Lufthansa und von Werner Schwarz, Chief Digital Officer Gerolsteiner Brunnen. Außerdem gaben Dirk Ockel, Leiter des VOICE Cybersecurity Competence Center (CSCC), Stephanie Engelhardt, Leiterin des VOICE Vendor Observer Competence Center (VOCC) sowie Peter Vahrenhorst vom LKA Nordrhein-Westfalen kurze Updates zu den Themen Sicherheit und Lizenzpolitik.
Dirk Ockel machte aufmerksam auf die aktuellen sehr umfangreichen Patches von Oracle und Microsoft. Außerdem wies er auf gepatchte Schwachstellen im vCenter-Server von VMware sowie auf einen neuen Patch von Dell hin, die Anwender dringend implementieren sollten, weil beide Schwachstellen eine sehr hohe Kritikalität aufweisen. Das sei beileibe keine Selbstverständlichkeit. Ockel erwähnte einen Fehler in Microsofts Exchange-Server, der bereits vor 7 Wochen von Microsoft behoben worden sei. Einer Sicherheitsstudie zufolge gebe es aber zurzeit noch 350000 ungepatchte Exchange-Server, die weltweit im Einsatz seien.
Neue Office-Lizenz
Stephanie Engelhardt lenkte die Aufmerksamkeit auf eine zusätzliche Lizenz, die Anwender von Office 365 demnächst wohl erwerben müssen. Es handelt sich dabei um die sogenannte M365 unattended Licence. Sie bezieht sich auf die Nutzung von Office nicht durch menschliche Endnutzer, sondern durch andere Softwareprogramme. Die Lizenz hat Ähnlichkeiten mit dem Thema digital access/indirekte Nutzung, das VOICE-Mitglieder in Zusammenhang mit SAP schon seit längerem beschäftigt.
Peter Vahrenhorst ging kurz ein auf den in NRW auffällig gewordenen Förderungsbetrug durch Fake-Websites. Insgesamt wurden in NRW in Zusammenhang mit der Corona-Krise über 450 000 Anträge auf Förderung gestellt. Diese Anträge müssten jetzt alle auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden. Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass diese Betrugsmasche auch in anderen Bundesländern angewendet worden ist. Außerdem berichtete er vom Ausheben eines Kinderpornografie-Servers, was dazu geführt hat, dass die Polizei jetzt Zugang zu den Registrierungsdaten von einer Million auf dem Portal registrierter Nutzer zugreifen kann.
Fitnessprogramm für nach der Krise
Dr. Christine Kahlen betonte, dass die Digitalisierung es uns ermöglicht, diese Krise zu bestehen. Allerdings merke man auch, dass vieles noch besser gehen könnte, wenn die Digitalisierung bereits weiter fortgeschritten wäre. Benötigt würden eine bessere digitale Infrastruktur und viel mehr Digitalisierung in der Verwaltung. Heutige Verfahren seien zu angreifbar, wie das Beispiel NRW-Förderbetrug zeige. Dr. Kahlen machte sich für ein „Fitnessprogramm“ stark, das nach Bewältigung der Krise notwendig sei. Europa müsse wieder stärker zum Produktionsstandort werden. „Der Mangel an Masken und Schutzkleidung hat gezeigt, dass wir nicht nur digitale Souveränität benötigen“, sagte sie. Dr. Kahlen sprach sich außerdem für eine Digitalisierungsoffensive aus, in deren Ausgestaltung auch die Erfahrungen der Anwender einfließen sollen. Sie forderte die Teilnehmer des CIO-Austausches auf, dem BMWi ihre Prioritäten zu nennen und die Probleme aufzuzeigen die sie als Anwenderunternehmen in der Corona-Krise am brennendsten sind. VOICE-Geschäftsführer Wolfgang Storck versprach, die Anforderungen der in VOICE organisierten IT-Anwender zusammenzufassen und dem Ministerium zukommen zu lassen.
Die Welt ist nicht mehr dieselbe
Dr. Roland Schütz von Lufthansa illustrierte mit zwei Zahlen die Situation, in der sich die Lufthansa zurzeit befindet. An normalen Tag transportiere sein Unternehmen rund 350 000 Menschen. Stand heute sind es etwa 2 bis 3000 pro Tag. Für viele Unternehmen sei die Welt nicht mehr dieselbe wie vor der Krise. Das gelte auch für Digitalisierungsprojekte, die man vor der Krise aufgelegt oder konzipiert habe. Über sie müsse noch einmal neu nachgedacht werden und gegebenenfalls müssen sie verändert werden. Die IT der Lufthansa nutzt die Krise unter anderem auch, um zu überlegen, welche Applikationen nicht mehr gebraucht und abgeschaltet werden müssen. „Sperrmüll für IT“. Zurzeit haben sich pragmatische und unkompliziertere Arbeitsweisen bei der Lufthansa durchgesetzt. man konzentriere sich auf die Dinge, die wichtig sind und schnell zu ändern sind. Priorisierungen würden ebenfalls viel schneller stattfinden. Die unkomplizierteren Arbeitsweisen wolle man auch nach der Corona-Krise beibehalten.
Laut Dr. Schütz beschleunigt die Krise die Marktkonsolidierung, die bereits vor Corona eingesetzt habe. Er betonte immer wieder seine Entschlossenheit, die jetzige Situation auch zu nutzen, um grundsätzlich über Dinge nachzudenken. Zum Schluss gab er noch einen kurzen Ausblick auf die IT nach der Krise. Hier einige seiner Annahmen für 2023:
- Die meisten technisch unterstützten Prozesse folgen Industrie-Standards. Dabei gilt: ein Prozess wird nur von einer Applikation unterstützt.
- IT-Services sind Cloud basiert und entwickeln sich in kurzen Zyklen (quartalsweise) weiter.
- Unsere Kunden und Partner-Interfaces sind mobil und werden von „humaner“ Technologie unterstützt (sprachbasiert, biometrisch, vorausschauend).
- Customer intimacy . Wir versorgen unsere zunehmend autonomen Kunden mit relevanten Interfaces und konkurrieren dabei technologisch mit mächtigen Zwischenhändlern.
Es wird eine neue Balance geben
Werner Schwarz berichtet, dass es bei Gerolsteiner zurzeit noch keine Kurzarbeit gebe, obwohl der Absatz teilweise deutlich zurückgegangen sei. Auch die IT-Projektarbeit laufe weitgehend unverändert weiter. Zu Ostern sei man mit S4/HANA live gegangen. Alle Mitarbeiter von Gerolsteiner, die zu Hause arbeiten können, tun das. Man habe den Vorteil bereits seit 2 Jahren mit Office 365 zu arbeiten. Wegen der starken Außendiensttätigkeiten verfüge man zudem über eine gute Infrastruktur. Allerdings müssen die Mitarbeitenden in Produktion und Logistik ins Unternehmen. Dem trage man durch deutliche Ausweitung von Desinfektionsstellen Rechnung und durch organisatorische Maßnahmen. Dazu gehören vergrößerte Abstände, die Trennung der Kantine für interne Mitarbeiter und externe Kräfte, eine Vergrößerung der Sozialbereiche und eine Schichttrennung. Außerdem habe man die die Mitarbeitenden sehr stark in Sachen Hygiene sensibilisiert. Zum Ausblick sagte Schwarz, dass es nach der Krise eine neue Balance geben werde, zwischen neuen und alten Abläufen. Viele Dinge wie den persönlichen Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen wolle man natürlich wieder erleben. Andere Arbeitsweisen zum Beispiel Meetings würden sich wohl sehr stark verändern.
Zum Schluss der Runde appellierte der Vorsitzende des VOICE-Präsidiums Dr. Hans-Joachim Popp an die Politik, den Unternehmen möglichst schnell wieder die Möglichkeit zu geben, ihre Geschäfte real wiederaufzubauen.
Der nächste CIO-Austausch findet am 29.04. 2020 wieder digital statt. Themen und Impulsgeber werden wir in Kürze bekanntgeben.